Seit 2014 bewegte der Wings for Life World Run die Welt und sorgt für wertvolle Spenden und Aufmerksamkeit für die Rückenmarksforschung. Im Mai 2017 waren Natalie und ich dann auch erstmals selbst dabei. Bei etwa fünf Grad Celsius und Regen standen wir im Münchner Olympiapark an der Startlinie und wollten möglichst weit für die laufen, die es nicht können. Während Natalie es einen Monat nach unserem Start beim Paris Marathon nicht ganz so ambitioniert anging und am Ende nach 31,45 Kilometern eingeholt wurde, zog ich durch, knackte die angestrebten 50 Kilometer und wurde nach 53,61 Kilometer eingeholt. Platz zwölf in München. Im Bus der letzten 13 Läufer unterhielt ich mich mit Hermann Achmüller und anderen Topläufern, die ich bisher nur aus dem TV gekannt hatte. Das Feuer für das weltweite Event mit allem, was dazugehört, war nach diesem Wochenende im Mai 2017 endgültig entfacht.
Kein Wunder also, dass wir in den folgenden Jahren immer und immer wieder dabei waren und über verschiedene Wege auf das einmalige Event und die Wings for Life Stiftung aufmerksam machten, um auch möglichst viele weitere Menschen zur Teilnahme zu bewegen. 2018 traf ich mich zuhause in Gengenbach mit einigen Teamkollegen und lief gut 35 Kilometer per App mit. Ähnlich entspannt, aber wieder mit dem Willen mindestens 30 Kilometer zur weltweiten Gesamtkilometerzahl beitragen zu wollen, ging ich es 2019 beim organisierten App Run in Hamburg an. Am Ende wurden es gut 32 Kilometer um die Außenalster, die ich zu großen Teilen mit Natalie lief.
Plötzlich unter den Besten der Welt
2020 mangelte es coronabedingt an Startmöglichkeiten. Was ich aber hatte war ordentlicher Uni-Prüfungsstress. Beim Wings for Life World Run mitlaufen wollte ich aber selbstverständlich trotzdem. "So ein Marathon wäre morgen doch ganz nett", dachte ich mir als ich nach einem langen Tag voller Lernerei mit gefühlt rauchendem Kopf ins Bett fiel. Am nächsten Mittag stand ich Punkt 12:00 Uhr britischer Zeit in einem der beliebtesten Parks Edinburghs, im "Meadows". Auf der rund 2,25 Kilometer langen Runde lief ich Runde um Runde und wurde kaum langsamer, sodass mein Vorsprung bei Erreichen der Marathondistanz noch groß war. Was nun? Weiter, immer weiter! Klar, was denn auch sonst? Mehrere Meadows-Runden später setzte ich mit über 55 Kilometern in den Beinen zum Endspurt an. Nach 55,91 Kilometern schnappte mich das Catcher Car. Erst wurde ich weltweit auf Platz neun geführt, ein paar Tage später fand ich mich auf dem 13. Rang wieder. Top 10 oder nicht, egal, ich war glücklich so spontan eine solche Leistung gezeigt zu haben.
Auch 2021 war die Situation ähnlich. Weniger Uni-Stress, aber dennoch keine ernsthafte Vorbereitung prägten meinen Start. In erster Linie hatte ich die 50 Kilometer im Kopf, die ich zum dritten Mal knacken wollte. Bei wärmeren Temperaturen und im spürbar stärker besuchten Meadows reichte es am Ende für 54,17 Kilometer. Und dann? Dann kam 2022.
Im April 2022 lief ich beim Manchester Marathon erstmals unter 2:30 Stunden, womit ich ein Ziel erreichte, das ich seit Jahren als Fernziel im Kopf hatte. Mit dem mentalen Rückenwind vom Manchester Marathon sowie meinen Erfahrungen aus fünf Jahren Wings for Life World Run wollte ich meine Bestleistung von vor zwei Jahren attackieren und idealerweise ordentlich steigern. Dass hierzu neben einer guten Form auch immer etwas Glück, bspw. mit dem Wetter, gehört, war klar. Da das Wetter alles in allem passte und der vorhergesagte Wind an der Küste Edinburghs einigermaßen im Rahmen zu sein schien, entschied ich mich im Nordwesten der Stadt Gas zu geben. Begleitet von Natalie und unserem deutsch-schottischen Freund Euan lief ich vom ersten Kilometer an mit viel Mut und Leidenschaft. Laufend alles geben, für die, die (zumindest aktuell) nicht laufen können. Ich wollte mich selbst herausfordern und meinen Teil zu einem gelungenen Wings for Life World Run 2022 beitragen. Darum drückte ich, wenn mir nach drücken war - und eigentlich auch, wenn ich lieber einen Gang rausgenommen hätte. Laufen mit dem Herz in der Hand eben.
Von der Weltbühne in den Linienbus
Dass ich am Ende tatsächlich um den Titel des Global Champion mitlaufen konnte, fühlt sich im Nachhinein fast schon surreal an. Herausragende Läufer, vor denen ich den größten Respekt habe, wie etwa Florian Neuschwander, die Wings for Life World Run Legende himself, waren plötzlich aus dem Rennen und ich lief noch - und hey, der Ofen war noch nicht aus. Somit konnte ich im dramatischen Rennen der weltweit letzten fünf Läufer ein ordentliches Wörtchen mitreden und wie ich danach in zahlreichen Nachrichten mitbekam bis nach Neuseeland für Begeisterung sorgen. Am Ende schnappte mich das Catcher Car nach 63,69 Kilometern. Erneut Platz eins in Großbritannien, aber vor allem: Platz drei weltweit! Unglaublich! Und danach? Danach spazierte ich zur nächsten Bushaltestelle, gab einem Mann mit roter Uniform mit den Worten "Single Ticket please" 1,80 Pfund und fuhr wie jeder andere Spaziergänger, der an diesem sonnigen Sonntag auch an der Strandpromenade unterwegs war, mit dem Bus nach Hause. Und plötzlich war ich wieder einer von 500.000 Menschen in Edinburgh bzw. einer von 161.892 World-Run-Teilnehmern statt einer von den fünf letzten Läufern weltweit, die mit einem Affenzahn durch die Gegend rennen und dabei global bei Red Bull TV & Co. verfolgt werden. Große Show und alltägliche Normalität liegen manchmal näher zusammen als man denkt. Die nächste Show kommt aber bestimmt.
Zu guter Letzt danke an Natalie & Euan, die mich vor Ort unterstützt haben, danke aber auch an alle Daumendrücker vom heimischen Schwarzwald über meine Wahlheimat bis nach Neuseeland und den Rest der Welt. Ein besonderes "Danke" geht auch an alle, die den Wings for Life World Run seit Jahren organisieren oder vermarkten und so den Grundstein dafür legen, dass irgendwann "die, die es nicht können" doch wieder laufen können.